Sankt Falstaff
von Ewald Palmetshofer frei nach Shakespeares KING HENRY IV
Regie: Tilmann Köhler
Der Staatsstreich ist geglückt. Multiple Krisen und von langer Hand geplante Umsturzszenarien haben die alte Regierung weggefegt. Wie ein Quasikönig regiert Heinrich Bolingbrock mit seinen Gefolgsleuten das Land im Haus der Macht. Es werden Intrigen gesponnen und Versprechen gebrochen. Um Inhalte geht es längst nicht mehr, Politik ist zur reinen Show verkommen, ein Mittel zum Zweck. In Heinrichs Staat regieren Privilegierte und Reiche auf Kosten der prekären Unterschicht. Doch Heinrich ist alt geworden und krank und es ist kein geeigneter Nachfolger in Sicht. Im Schatten dieser strauchelnden Herrschaft trinkt sich John Falstaff in Frau Flotts Containerkneipe seine Situation am Rand der Gesellschaft schön. Er ist der genaue Gegenentwurf zum Quasikönig: ehrlich, verletzlich, sympathisch, unverstellt, manchmal sarkastisch, aber nie zynisch und vor allem zu Empathie fähig.
Dieser John Falstaff findet in der Kneipe auf dem Boden der Toilette in seinem Erbrochenen liegend den Sohn des Quasi-Königs, Harri, und rettet ihm das Leben. Zwischen den beiden entwickelt sich eine Freundschaft, aus der mehr werden könnte. Trotz der Faszination für John ist das Ganze für Harri eher ein Spiel. Ehrlich gemeinte Zuneigung ist er kaum in der Lage zu erwidern. Als Harri eines Tages aus dem Zentrum der Macht ein unmoralisches Angebot erreicht, wirft das nicht nur auf die Zukunft des Staates, sondern auch auf Johns Beziehung zu Harri ein neues Licht. Wird er mit Harri aufsteigen oder müsste er nicht vielmehr der Fortpflanzung der illiberalen Herrschaft in den Schritt fahren? Vielleicht sogar um den Preis des eigenen Untergangs?
Autor Ewald Palmetshofer hat viele Jahre an dieser Überschreibung gearbeitet. Herausgekommen ist das Stück zur Stunde. Er beschreibt in seinem im Versmaß verfassten Drama die Mechanik des Autokratismus, die Macht des Geldes, das Auseinanderdriften von Regierung und Bürgerschaft, Armut und Reichtum. Kann es da Hoffnung geben? Das Stück setzt auf die Widerstandskraft der Gesellschaft.
»Verrohte Politik bringt ihre verrohten Wähler:innen hervor. Nicht umgekehrt. Wie aber widersteht man dieser Psychopolitik der Extremisierung? Vielleicht kann man ja bei John Falstaff in seiner Kneipe in die Lehre gehen, weil sein Herz in Wahrheit weiter und unbestechlicher ist, als es ihm selbst sein Erfinder Shakespeare zugetraut hat: den toxischen Zeiten zum Trotz bis in die letzte Faser hinein völlig atoxisch.« (Ewald Palmetshofer)
Ewald Palmetshofer, geboren 1978 in Linz, studierte in Wien Theologie und Lehramt Philosophie / Psychologie. Der Autor und Dramaturg wurde 2008 zum Nachwuchsdramatiker des Jahres ernannt. Mit hamlet ist tot. keine schwerkraft wurde er 2008 für den Mülheimer Dramatikerpreis nominiert, 2010 mit dem Stück faust hat hunger und verschluckt sich an einer grete. Mit seinem Stück die unverheiratete gewann Ewald Palmetshofer 2015 den Mühlheimer Dramatikerpreis. Die Uraufführungsinszenierung von Robert Borgmann am Wiener Akademietheater wurde außerdem 2015 zum Berliner Theatertreffen 2015. Dem folgten weitere Einladungen nach Mülheim. 2018 wurde Vor Sonnenaufgang am Theater Basel uraufgeführt und seitdem an mehr als zwanzig Häusern nachgespielt. Mit der Uraufführung von die verlorenen in der Regie von Nora Schlocker eröffnete Andreas Beck 2019 seine Intendanz am Residenztheater in München, wo Ewald Palmetshofer seit der Spielzeit 2019/20 auch als Dramaturg arbeitet.