Komödie der Einsamkeit
Stückentwicklung von Jan Neumann & Ensemble
Regie: Jan Neumann | Musikalische Leitung: Camill Jammal
Bühne & Kostüme: Dorothee Curio | Dramaturgie: Carmen Wolfram
Vor kurzem hat das Bundeskabinett einen sage und schreibe 111 Maßnahmen umfassenden Katalog gegen Einsamkeit beschlossen. Einsamkeit, heißt es da, erhöhe das Risiko für Übergewicht, Depression, Herzinfarkt oder Alzheimer, und sei ein komplexes gesamtgesellschaftliches Problem, das hohe Kosten verursachen und sich zu einer Gefährdung der Demokratie auswachsen könne. 14 Millionen Einsame gebe es allein in Deutschland, in der Folge der Pandemie sei die Zahl derer, die sich als immerhin gelegentlich einsam bezeichneten, auf über 40 Prozent gestiegen. Wie es sich anfühlt, einsam zu sein, weiß jeder Mensch.
Aber ist der Mensch in seiner Existenz nicht sowieso einsam? Auch wenn ich Mutter von vier Kindern, Gatte einer Gattin nebst neun Geliebten, Vorsitzende eines Tennis-, Ruder, Reit- und Fußball-Vereins in Personalunion bin, Herrchen dreier Hunde und eines Meerschweinchens oder Zentrum eines sich über den Erdball erstreckenden Freundeskreises – einsam kann ich mich dennoch fühlen. Jede Entscheidung kann eine einsame sein; an der Spitze ist es immer einsam – in der anonymen Masse auch; meine Erinnerungen und meine Träume machen mich einsam, da nur ich sie habe; und selbst wenn mir im Sterben die Hand gehalten wird: der allerletzte Moment wird ein einsamer sein. Ist Einsamkeit nicht gewissermaßen der Urzustand des Menschen, den er durch soziale Kontakte nur zu verbergen versucht?
Und dann sind da ja auch die, die die Einsamkeit suchen: die Mönche und Einsiedlerinnen und Einsiedler, die Wanderer in den Bergen und an den Küsten... In einer immer unübersichtlicher werdenden Welt wächst die Sehnsucht, das schrille Geklingel und alarmistische Gelärme hinter sich zu lassen, nichts mehr hören, nichts mehr sehen; schweigen, statt zu allem und jedem 24/7 eine Meinung zu haben und diese postend hinaus zu posaunen; endlich wieder die eigene Stimme hören, denken, sich besinnen, Klarheit gewinnen! – Flucht in die Einsamkeit als Weltbewältigungs- oder Weltverweigerungs-Strategie, als Ausstieg aus dem ewigen Hamsterrad permanenter Selbstinszenierung im Aufmerksamkeits-Dauer-Wettbewerb, als Verweigerung des Postulats nach der totalen Vernetzung!
Der Regisseur Jan Neumann entwickelt mit dem Ensemble einen poetisch-komischen Theaterabend über das ambivalente Gefühl der Einsamkeit zwischen selbstgewähltem Alleinsein und sozialer Vereinsamung, zwischen Inspiration und Isolation, zwischen unaushaltbarer Stille und der Euphorie des kontemplativen Selbstgesprächs, auf der Suche nach Wegen und Schritten aus der Einsamkeit – und in die Einsamkeit!
Jan Neumann, Jahrgang 1975, absolvierte eine Schauspielausbildung an der Bayerischen Theaterakademie August Everding. Er arbeitet als Regisseur und Autor und inszenierte u. a. am Maxim Gorki Theater Berlin, am Schauspiel Köln und am Schauspielhaus Bochum. Seit der Spielzeit 2013/14 ist er fester Hausregisseur am Deutschen Nationaltheater Weimar. In Bonn hat er bereits UNTERLEUTEN, DER MENSCHENFEIND, KLEINER MANN – WAS NUN?, DER STURM und DIE KINDER von Lucy Kirkwood inszeniert.