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Eine Ritterrüstung!

Moritz Eggert über seine Familienoper der Träume, Ritter und Abenteuer.

In meiner Familie ist es eine gerne wiederholte Geschichte, wie mein Cousin als kleiner Junge von der Ritterrüstung (die als Geschenk unter dem Weihnachtsbaum lag) so begeistert war, dass er beim Vorlesen der Weihnachtsgeschichte immer nur »Eine Ritterrüstung! Eine Ritterrüstung!« rief. Es ist etwas zutiefst Archaisches an den Träumen von Rittern und deren Abenteuern, und obwohl die klassischen Rittergeschichten aus heutiger Perspektive nicht direkt Gleichstellung zelebrieren, sind Mädchen von Burgen und Abenteuern genauso begeistert wie Jungen. Und so langsam ändert sich das ja auch, man denke nur an moderne »Ritterinnen« wie Xenia, Wonder Woman oder Brienne von Tarth in Game of Thrones. Die Idee der Quest spricht Jugendliche vor allem deswegen so an, weil sie ihrer eigenen Situation so ähnelt. Da geht jemand los, um sich bei einer ritterlichen Tat zu beweisen, meistens ist dies dann der notwendige Schritt, um Ritter der Tafelrunde zu werden, also als gleichwertiges Mitglied der Gesellschaft akzeptiert zu werden. Schon als kleines Kind verschlang ich daher auch Fantasy-Romane – moderne Rittergeschichten – und das Theater Bonn rannte bei mir offene Türen ein, als es mit der Idee von IWEIN LÖWENRITTER auf mich zukam. Die Artussage war für mich immer etwas Besonderes, weil sich in ihr viele Mythen vereinen, die man guten Gewissens als europäisch bezeichnen kann. Gleichzeitig wohnt ihr aber auch eine gewisse englische Exzentrik inne, z. B. die Idee, dass König Artus zurückkehrt, wenn ihn England wirklich braucht. Monty Pythons Die Ritter der Kokosnuss ist daher ein echter und unglaublich britischer Artusfilm, denn obwohl der Ton des Films parodistisch ist, nimmt er die Legende sehr ernst. Dies wird vor allem in der berühmten Szene mit dem schwarzen Ritter deutlich: König Artus kämpft mit diesem sich als überraschend schwach erweisenden Gegner und hackt ihm ein Körperteil nach dem anderen ab, der schwarze Ritter aber will selbst als Torso noch weiterkämpfen, hüpft hilflos umher und behauptet, »nur eine Fleischwunde« zu haben. Diese Szene beinhaltet für mich die Essenz der Artussage. Da gibt es Ritter, die sich einer Sache verschworen haben und diese bedingungslos bis zum Ende weiterverfolgen, egal, was für Hindernisse sich auftun. Und das Wichtigste: Sie geben nicht auf. Gleichzeitig haben sie dabei einen Ehrenkodex – sie sind nobel und benehmen sich gut, helfen den Armen und schützen die Schwachen, sind aber nur Menschen, daher anfällig für alle menschlichen Emotionen wie Eifersucht, Neid oder Missgunst. Mir war diese Idee des »Nicht-Aufgebens« immer wieder Trost, und in gewisser Weise zieht es auch durch meine Musik. Die Lächerlichkeit und die Möglichkeit des Scheiterns sind für mich ganz wichtige Elemente der Kunst. In IWEIN LÖWENRITTER beginnen die Librettistin Andrea Heuser und ich die Oper mit zwei Jugendlichen, die beide ein bisschen an den üblichen Jugendkümmernissen leiden und erst dann im Land der Fantasie landen. Musikalisch befinden wir uns aber von Anfang an in der Welt von Iwein und Gawein. Dass ich als bekennender Wagner-Hasser einmal eine Oper schreiben würde, in der ich ihm in gewisser Weise so nahe sein würde, hätte ich nie geahnt. Noch nie habe ich beispielsweise so viel mit Ideen wie Leitmotivik – im Grunde ja gar keine schlechte Idee – gearbeitet; das passierte einfach fast automatisch bei all den Szenen mit immer wiederkehrenden Charakteren. Gleichzeitig inspirierten mich aber auch der Stoff und die vielen aktionsreichen Szenen dazu, eine möglichst fantasievolle und reichhaltige Musik zu schreiben, in der immer alles möglich ist und in der alle musikalischen Ausdrucksformen nebeneinander existieren können. Für mich ist es nie ein Widerspruch, von Vierteltönen und modernen Kompositionstechniken zu Melodien und mittelalterlichen Klängen zu kommen. Ich liebe das Nebeneinander von Sprachen und auch durchaus divergenten Stilen, denn für mich sind das alles gleichermaßen gültige Elemente einer musikalischen Erzählung. Mir ist bewusst, dass das ganze Projekt sich an junge Hörerinnen und Hörer wenden soll, aber schon als Kind mochte ich es selbst nicht, wenn man zu mir »herunterschrieb « und alles musikalisch simpler machte. Kinder merken es sehr wohl, wenn man sie nicht als gleichwertiges Gegenüber behandelt, sondern alles vereinfachend herunterbricht. Deswegen habe ich in meiner Musik keine Kompromisse gemacht; ich habe keineswegs eine andere musikalische Sprache verwendet als sonst auch, und das ist eine ganz bewusste Entscheidung. Das Entscheidende bei IWEIN LÖWENRITTER ist also schlicht und einfach das Thema – ich glaube einfach an die Kraft dieser Art von Geschichten und dass sie sowohl junge als auch alte Menschen ansprechen. Daher ist unsere Oper hoffentlich etwas für – wie es so schön heißt – Jung und Alt. Und wenn ein bisschen von meiner Liebe für fantastische Themen und für das, was aus dem Alltag heraustritt und nicht »normal« ist, auch musikalisch als »Sense of Wonder« über die Bühne kommt, so würde es mich als Komponisten sehr glücklich machen. Und wenn nicht, dann würde ich mich mit dem Gedanken trösten, dass es »nur eine Fleischwunde« ist und beharrlich weitermachen, denn ich kann nicht anders.


Moritz Eggert