Magazin

Arabella

Des Rosenkavaliers jüngere Schwester

Es gibt nur sehr wenige Menschen im Leben eines jeden, die einen so sehr prägen wie Geschwister: die einem so auf die Nerven gehen können; die einen so zur Weißglut bringen können; die aber auch einen mit am besten kennen; die einen trösten, wenn es einem schlecht geht; die einem bedingungslos helfen, wenn es darauf ankommt. Jeder Mensch, der mit Geschwistern aufgewachsen ist, hat sicher seine Geschichten: mal traurige, mal lustige, mal unfassbare. ARABELLA handelt ebenfalls von Geschwistern, genauer gesagt von zwei Schwestern. Die beiden Schwestern in der Oper entstammen einer durch die Spielsucht des Vaters, Graf Waldner, verarmten königlich-kaiserlichen Adelsfamilie. Während Arabella, die Ältere, von ihrem Vater mit einem reichen Mann verheiratet werden soll – durchaus ein für den Vater gutes Geschäft – muss die jüngere Zdenka als Ersatz für das Ausbleiben eines männlichen Erben die Rolle des Jungen einnehmen. Ein verarmter Vater, eine Tochter auf der Suche nach dem richtigen Mann – wobei richtig immer auch reich bedeutet – und eine als Junge aufgezogene Tochter. Da kann doch eigentlich fast nichts schiefgehen! Und doch…Während die schöne Arabella mehrere Verehrer hat, darunter einen mittellosen Offizier namens Matteo, muss sich Zdenka ihrer durch die Familie aufoktroyierten Hosenrolle fügen. Weil sich Zdenka aber in Matteo verliebt und ihm im Namen ihrer großen Schwester Liebesbriefe sendet, entwickelt sich ein heilloses Durcheinander an Verdächtigungen, an amourösen Andeutungen, an verliebten Blicken und beleidigten Abgängen bis hin zu den Vorbereitungen zu einem Duell, geschuldet der gekränkten Männlichkeit. Mandryka, der reiche Verlobte Arabellas, glaubt fest daran, sie hätte nach dem Fiaker-Ball die Nacht im Hotel mit Matteo verbracht – eine Vorstellung, der allerdings auch Matteo unterliegt. Die auf diese amouröse Scharade für alle schockierende Nachricht der wirklichen Beteiligten dieser nächtlichen Vergnügungen folgen Provokationen Mandrykas gegenüber Arabella, Matteo und Graf Waldner. Der Graf kann seinen Zorn nicht zügeln und fordert zur Satisfaktion seine Pistolen an. Dass es nicht so weit kommt, ist ausschließlich Zdenka zu verdanken, die am Ende, in ihrer eigentlichen Identität und in Damengarderobe gekleidet, in das Foyer des Hotels stürmt und alle dort Versammelten über das verwirrende Spiel der Briefe und vergeblichen Liebeleien aufklärt. Die Oper ARABELLA, 1933 in Dresden uraufgeführt, kann durchaus als jüngere Schwester des ROSENKAVALIER gelten, die bereits 1911 ebenda seine Uraufführung fand. Zwischen beiden Werken gibt es, neben den Identitäten der Schaffenden, vielfältige Parallelen: Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal entwarfen in beiden Fällen ein durchaus komplexes Beziehungsgeflecht mit finanziellen Abhängigkeiten und emotionalen Ausbrüchen, verortet in der gehobenen Gesellschaft Wiens. Wobei ARABELLA die vielleicht schmutzigere, authentischere und ehrlichere Variante des in der erzählten Zeit deutlich früher anzusiedelnden ROSENKAVALIER ist. Nicht immer und nicht bei allen Geschwistern bemerkt und erkennt man den gemeinsamen Ursprung auf den ersten Blick. Bei genauer Betrachtung aber muss man die Vaterschaft von Richard Strauss zu seinen Kindern anerkennen. Wären ARABELLA und der ROSENKAVALIER zwei Kinder, sie wären zwar in zeitlichem Abstand zueinander aufgewachsen und hätten sich mit Sicherheit auch gezankt, einander Schlechtes gewollt oder versucht, vor den Eltern gegeneinander aufzutrumpfen; letztlich hätten sie sich aber zusammengerauft und versucht, die zuvor gestiftete Verwirrung aufzulösen. – So, wie Zdenka ihren Matteo vor dem Tod und die zukünftige Ehe ihrer Schwester rettete.

 

Text: Maximilian Hülshoff