Gemeinsam für lebendiges Theater

Verleihung der Bonner Theaterpreise THESPIS und COURAGE am 5. Oktober im Schauspielhaus

Mit Cole Porters »Night and Day« empfingen der Bonner Multiinstrumentalist Matthias Höhn (Concertina und Sopransaxofon) der Pianist Berthod Wicke, langjähriger Leiter des Jugendsinfonieorchester Bonn, und die Sängerin Karin Gante das zahlreich erschienene Publikum im Schauspielhaus. Elisabeth Einecke-Klövekorn, Vorsitzende der Gesellschaft der Freunde des Schauspiels Bonn e.V. und der Theatergemeinde BONN begrüßte die Bürgermeisterin Nicole Unterseh als Vertreterin der Bundesstadt Bonn (Grüne) und Feyza Yildiz, Stadtbezirksvorsitzende der CDU Bad Godesberg, sowie mehrere Mitglieder des Kulturausschusses. Zum dritten Mal hatten die beiden Vereine gemeinsam eingeladen zur Verleihung ihrer Preise für besondere Leistungen am Schauspiel Bonn und an den privaten und freien Bonner Bühnen. Den THESPIS der Schauspielfreunde gibt es bereits seit 2008, der COURAGE der Theatergemeinde wurde 2023 neu installiert. Einecke-Klövekorn hob die erfolgreichen Kooperationen des städtischen Theater Bonn mit dem Jungen Theater Bonn und dem Theater Marabu hervor und betonte die konstruktive Zusammenarbeit vieler Bonner Theaterschaffender bei der Entwicklung von Konzepten für die Zukunft der vielfältigen lokalen Kulturlandschaft. Von Spardruck, Sanierungsstau und Kürzungsfantasien sollte an diesem festlichen Vormittag allerdings nicht die Rede sein.

Auch Bürgermeisterin Unterseh wertete in ihrer Ansprache die Veranstaltung als Zeichen für den Zusammenhalt der Bonner Bühnen und die kreativen Impulse für die Stadtgesellschaft. Sie lobte das ehrenamtliche Engagement der Schauspielfreunde und den Einsatz der Theatergemeinde als einer der größten gemeinnützigen Besucherorganisationen in ganz Deutschland für die Vielfalt des Theater- und Konzertlebens in Bonn. Insbesondere nannte sie die Jugendarbeit, das Schultheaterfestival Spotlights und die Organisation der Bonner Theaternacht. Auch Generalintendant Dr. Bernhard Helmich und Schauspieldirektor Jens Groß würdigten die Aktivitäten der beiden Vereine, vor allem den aufmerksamen Kantinendienst der Schauspielfreunde, die – auch das wohl bundesweit einmalig – seit etlichen Jahren ehrenamtlich für das Wohlbefinden aller Mitarbeitenden im Schauspielhaus sorgen. Beide beglückwünschten schon vorab Frank Oppermann, dessen Kleines Theater nur wenige Meter vom Schauspielhaus in Bad Godesberg entfernt liegt und nun zum zweiten Mal mit dem COURAGE ausgezeichnet wurde.

Lars Figge, Tonmeister und Videospezialist am Theater Bonn, hatte wieder einen kurzweiligen Zusammenschnitt von Szenen aller Schauspielproduktionen der vergangenen Spielzeit vorbereitet. Die Jury der Schauspielfreunde hatte sich für die Inszenierung BEKENNTNISSE DES HOCHSTAPLERS FELIX KRULL nach dem Roman von Thomas Mann in der Regie von Hanna Müller entschieden und damit zum ersten Mal für eine Werkstattproduktion. Laudatorin Einecke-Klövekorn lobte den Mut der Regisseurin, sich an diesen literarisch höchst anspruchsvollen Text zu wagen, zu dem eigentlich schon alles gesagt und geschrieben sei. In dem fantastischen Bühnenbild von Sebastian Ellrich und mit vier wunderbaren Darsteller:innen sei ihr jedoch ein inszenatorisches Meisterstück gelungen. »Alle bewegen sich tanzend, rutschend und schwebend mit artistischer Eleganz auf der großen, verspiegelten Bühnenwelle. Die ganze einfallsreiche Aufführung mit ihrem irrwitzigen Gemisch aus Unwahrscheinlichkeiten, Täuschungen und Frivolitäten ist buchstäblich Schau-Spiel. Dabei spiegeln die Figuren bei aller ironischen Distanz und Künstlichkeit plötzlich doch die Absurditäten unserer Gegenwart mit ihren Selbstdarstellern und Maskeraden. Ein Spiel um Sein und Schein, Rausch und Leere und die unwiderstehliche Lust am Betrug. Ein fabelhafter Theaterabend.« Weil die Regisseurin zu dem Termin nicht nach Bonn kommen konnte, nahm der Schauspieler Paul Michael Stiehler, der die Titelrolle verkörpert, die Preisurkunde entgegen. Der Preis ist mit 500 Euro dotiert, die erfolgreiche Vorstellung steht in der laufenden Spielzeit erneut auf dem Spielplan.  

Ebenfalls mit 500 Euro dotiert ist der Preis für besondere Leistungen im nicht-darstellerischen Bereich. Damit möchten die Schauspielfreunde aufmerksam machen auf die Menschen am Theater, die nicht im Rampenlicht stehen. Einecke-Klövekorn verwies auf das heitere Monodrama »Die Sternstunde des Josef Bieder«, wohl das einzige, in dem ein Requisiteur der Protagonist ist. »Die Requisite muss die Vorstellungen sehr genau kennen, damit immer alles zur rechten Zeit am rechten Ort ist. Sie hütet einen sorgfältig geordneten Fundus von beweglichen Objekten. Was die Schauspielenden am Körper tragen, gehört zu Kostüm und Maske, schwere Möbel zählen meistens zum Bühnenbild. Aber für Koffer, Briefe, Telefone, Speisen und Getränke, Fahrräder sowie diverse Mordinstrumente von Gift bis zu Pistolen sorgt die Requisite. Manches wird in den Werkstätten hergestellt, vieles irgendwo besorgt. Dazu gehören viel Materialkenntnis, technisches Wissen und am besten auch Waffenkunde.« Nicole Powe, Leiterin der Requisitenabteilung, und Mitglieder ihres Teams freuten sich über die Wertschätzung ihrer vielseitigen Arbeit.

Die COURAGE-Jury der Theatergemeinde hatte wieder zahlreiche, in Bonn produzierte Aufführungen der privaten und freien Bühnen besucht. Lars Figge ließ die Kandidat:innen noch einmal Revue passieren anhand einer von Udo Bielke, Redakteur des TG-Kulturmagazins, zusammengestellten Fotostrecke. Der mit 1.000 Euro dotierte COURAGE-Preis ging an die Uraufführung »Irmgard K oder Kein Anschluss unter dieser Nummer« des Bonner Autors Kalle Kubik, am Kleinen Theater inszeniert von Frank Oppermann. Laudator Dr. Thomas Kölsch verwies auf die dramatische Lebensgeschichte der Schriftstellerin Irmgard Keun, die zu Beginn der 1930er Jahre zum Star der deutschen Literaturszene aufstieg und schnell wieder verschwand, denn 1933 wurden ihre Bücher öffentlich verbrannt. Nach dem Exil und den Schrecken des Weltkriegs lebte sie verarmt, vergessen und alkoholkrank in Köln, wurde entmündigt und verbrachte mehrere Jahre in der psychiatrischen Abteilung der Rheinischen Landesklinik Bonn. Erst 1972 konnte sie die Anstalt verlassen und wurde wieder wahrgenommen.  

»Kubik hat geschickt Passagen aus Keuns literarischen Werken, Briefen und Dokumenten zu einer vielschichtigen Momentaufnahme aus dem Leben der begnadeten Selbstdarstellerin verknüpft. Im Stück selbst ist sie eine ältere Dame, im Wartesaal des Bonner Bahnhofs sitzend, um den D-Zug nach Berlin zu nehmen, wo rund vier Jahrzehnte früher ihre kurze Glanzzeit begann. Dem jungen Kellner, der sich als glühender Verehrer der Keun erweist und alles von ihr gelesen hat, erzählt sie von ihrem Leben, ihren Liebschaften und ihrem Überlebenskampf. Heike Schmidt spielte diese vielschichtige Figur in der sensiblen Inszenierung von Frank Oppermann mit genau jenem unverwechselbaren Ton der sachlichen Großstadtpoesie, mit der die Keun einst ihr Publikum eroberte. Mit leiser Selbstironie, lakonischem Humor, scharfsichtigem Witz und einem Schuss Koketterie. Dabei hat sie eine traurige Fracht im Gepäck: Stolpersteine, um manche Menschen und manche Taten nicht zu vergessen, was gerade in der gegenwärtigen politischen Situation wichtiger denn je ist.

Auf jeden Fall erfordert es Mut, die Uraufführung eines solchen Stückes zu wagen, das zwar durchaus unterhaltsam ist, aber eben auch ernste Töne anschlägt. Und insbesondere erfordert es Mut für ein privates Theater mit nur geringfügigen Subventionen, das sich eigentlich keine Experimente leisten kann und trotzdem immer wieder genau das tut.«

Strahlend nahmen Kalle Kubik, Heike Schmidt und Frank Oppermann von der TG-Geschäftsführerin Juliane Schmidt-Sodingen die Urkunde und das von der Bonner Künstlerin Larissa Laё gestaltete kalligrafische COURAGE-Bild in Empfang. Wenige Tage zuvor hatte    

»Das kunstseidene Mädchen« als Chanson-Musical nach Keuns Roman im Kleinen Theater Premiere. Neele Pettig, die dort die Titelrolle verkörpert, sang daraus das berührende Lied »Ich wurde ein lachendes Weinen«. Extra angereist war auch Irmgard Keuns Tochter Martina Keun-Geburtig mit ihrem Ehemann. 

Der letzte Höhepunkt der festlichen Matinée gehörte natürlich dem THESPIS, mit dem die Schauspielfreunde seit 2008 herausragende darstellerische Leistungen von Ensemble-Mitgliedern am Schauspiel Bonn auszeichnen. Es ist ein Publikumspreis, bei dem zunächst bei einer Umfrage die Zuschauerinnen und Zuschauer ihre Stimme abgeben können und dann die Mitglieder des Vereins der Freunde des Schauspiels Bonn in einer Stichwahl unter den drei Bestplatzierten entscheiden. Der mit 1.000 Euro dotierte und mit einer jeweils individuell von der Bonner Künstlerin Sidika Kordes gestalteten Glaswürfelskulptur verbundene    THESPIS 2025 ging an die Schauspielerin Julia Kathinka Philippi.

Die gerade begonnene Saison ist ihre vierte am Schauspiel Bonn. Hier gab sie im Frühjahr 2022 – noch als Gast – ihren Einstand in dem anrührenden Country-Musical »The Broken Circle«, inszeniert von ihrem Ehemann und Bonner Hausregisseur Simon Solberg. In der Werkstatt zu erleben war sie allerdings schon 2019/20 in einer Koproduktion des freien Bonner Fringe-Ensembles mit dem Theater Bonn und einem Kulturzentrum in Burkhina Faso. Sehr oft spielte sie in musikalischen Produktionen. In der Spielzeit 2024/25 berührte sie in der leise-poetischen Familiengeschichte »Fremd« von Michel Friedman in der Werkstatt und auf der großen Bühne in dem Familienstück »Die Brüder Löwenherz« nach dem Roman von Astrid Lindgren. In der Saison 2023/24 waren es vor allem die erfolgreiche Inszenierung »Von Mäusen und Menschen« nach John Steinbeck, in der sie als einsame junge Frau durch die raue Männerwelt irrte, und »Die Legende von Paul und Paula«, bei der sie in der weiblichen Titelrolle das Publikum bezauberte.  Die Wiederaufnahme dieser Inszenierung hat sicher einiges zu Philippis Wahl beigetragen. Ebenso wie die »Dreigroschenoper« (Regie: Simon Solberg) als Produktion des Schauspiels im Opernhaus. Philippi begeisterte bei ihrem Operndebüt das Publikum als temperamentvolle Polly.

Laudatorin Einecke-Klövekorn: »Julia Kathinka Philippi liebt die Musik, aber vor allem die Menschen. Die, die sie auf der Bühne verkörpert und die, die ihr dabei zuschauen. Sie ist eine leidenschaftliche Ensemble-Spielerin und schwärmt immer wieder von all den großartigen Menschen hinter den Kulissen, die das Theater erst ermöglichen. Mit ihrer elementaren Neugier, ihrer Herzlichkeit und ihrer fröhlichen Ernsthaftigkeit strahlt sie eine ungewöhnliche Nahbarkeit aus. Wenn ich sie mit einem Wort charakterisieren müsste, wäre das ‚Empathie‘. Die Sympathie des Publikums hat sie jedenfalls schnell gewonnen.«

Philippi bedankte sich für den THESPIS mit der berühmten Ballade vom Traum eines Küchenmädchens und sang, am Klavier begleitet von Philip Mancarella, den Song der »Seeräuber-Jenny«. Beim anschließenden Empfang gab es noch viele angeregte Gespräche mit den Künstler:innen und zur Situation der Bonner Bühnen.

JULIA KATHINKA PHILIPPI, geboren 1980 in Herdecke, wuchs als Tochter eines Schauspielers in verschiedenen Städten auf. Sie kannte also das wechselhafte Theaterleben, als sie sich für den Beruf entschied. Ihre Schauspielausbildung absolvierte sie an der Folkwang Universität der Künste in Essen/Bochum. Nach dem Diplom war sie an zahlreichen deutschsprachigen Bühnen engagiert und stand auch mehrfach für Film und Fernsehen vor der Kamera. Seit der Spielzeit 2022/23 ist sie festes Ensemble-Mitglied am Schauspiel Bonn und war in etlichen Produktionen auch als hervorragende Sängerin zu erleben. Besonders überzeugte sie als namenlose Frau in VON MÄUSEN UND MENSCHEN, in der musikalischen Utopiesuche ARCHETOPIA, in dem Familienstück DIE BRÜDER LÖWENHERZ (Regie jeweils Simon Solberg) und als traumatisierte Heimatlose in der Familiengeschichte FREMD von Michel Friedman (Regie: Emel Aydoğdu). Alle Herzen eroberte sie als Paula in DIE LEGENDE VON PAULA UND PAULA (Regie: Roland Riebeling). Zu Beginn der Spielzeit 2025/26 begeisterte sie in mehreren Rollen in der Uraufführung der Sprechoper DIE ODYSSEE. Sie kann mädchenhaft naiv wirken und sehr stark, kindlich verträumt, mütterlich besorgt und vom Leben ernüchtert, als einsame Sinnsucherin und als revoltierender Engel. Fast immer strahlt sie dabei eine unbedingte menschliche Zuwendung aus, ohne sentimental zu erscheinen. Sie lotet widersprüchliche Gefühle aus und weckt damit ganz unmittelbar die Sympathie der Zuschauenden.