Fast schon Oscar-reif

Festliche Matinee zum Bonner Theaterpreis THESPIS

Text von Elisabeth Einecke-Klövekorn

Die elegischen Töne der Hölderlin-Vertonungen von Hanns Eisler und Wolfgang Fortner, dargeboten von dem Bariton Ulrich Schütte und dem Pianisten Trung Sam, wehten nur kurz durchs Schauspielhaus. Ansonsten herrschten Freude, gegenseitige Sympathie, Mut, ein bisschen Rührung und viel Optimismus auf der Bühne und im sehr gut gefüllten Zuschauerraum, als der Verein der Freunde des Schauspiels Bonn (FS) am Sonntagmorgen seine Preise für herausragende Leistungen am Theater vergab. Auf den Punkt brachte es die Sport- und Kulturdezernentin Dr. Birgit Schneider-Bönninger in ihrem kurzen Festvortrag „Poesie, Revolte, Zusammenkunft. Drei Gründe, warum das Theater ewig spielen wird“. Ein solch erfrischend klares Bekenntnis zur Magie von Sprache und Bildern, zur kritischen Fantasie und zu gemeinsamen freiheitlich-demokratischen Denkräumen machte Lust auf zukünftige Erlebnisse.              

Dr. Konrad Lang, Vorsitzender der Schauspielfreunde, hatte es anfangs schon angekündigt: Weil die traditionelle festliche Preisverleihung in den Jahren 2020 und 2021 wegen der Pandemie ausfallen musste, hatten die Schauspielfreunde sich entschieden, 2022 in diesem Jahr die Auszeichnungen in allen Kategorien zweifach  (also nicht zu teilen, sondern tatsächlich doppelt) zu vergeben und damit ein deutliches Zeichen für die Kontinuität der Anerkennung der Arbeit des Bonner Schauspiels auch in schwierigen Zeiten zu setzen. Bürgermeisterin Melanie Grabowy, im Hauptberuf selbst eine sehr theateraffine Gesamtschulleiterin, überbrachte als Vertreterin der Bonner Oberbürgemeisterin die Grüße der Stadt und lobte das Engagement der Schauspielfreunde. Insbesondere den ehrenamtlichen Kantinendienst, mit dem ein Team des Vereins seit mehreren Jahren unermüdlich dafür sorgt, dass es dem Ensemble und allen hinter den Kulissen Mitwirkenden während der Proben und Vorstellungen gut geht. Das betonte auch Schauspieldirektor Jens Groß in seinem kleinen Essay über die Freundschaft. Es war ein wichtiger Schritt, dass die „Freunde der Kammerspiele“, die seit 2006 viel zum Erhalt einer eigenen Spielstätte des Schauspiels beitrugen, sich entschlossen, nicht mehr die Immobilie in den Vordergrund zu stellen, sondern freundschaftlich das Schauspiel als Bühnenkunst zu unterstützen.

In seiner unterhaltsamen Zusammenstellung von Trailern der Schauspielproduktionen der vergangenen Saison ließ der Videokünstler Lars Figge, 2020 bei einer digitalen Preisverleihung mit einem FS-Sonderpreis ausgezeichnet, noch einmal Revue passieren. Prämiert wurden dann die Inszenierungen ISTANBUL. EIN SEZEN AKZU LIEDERABEND (Regie: Roland Riebeling) und KLEINER MANN – WAS NUN? (Regie: Jan Neumann) nach dem Roman von Hans Fallada. Zwei großartige Vorstellungen, die die ganze ästhetische Bandbreite des Theaters zeigten. Eine mitreißende musikalische Geschichtsspiegelung, die eine Menge türkischer Mitbürgerinnen und Mitbürger nach Bad Godesberg lockte, und ein politisch hochaktueller, spielerisch fulminanter Blick auf die Wirtschaftskrise um 1930 mit ihren tapferen kleinen Verlierern und gefährlichen Profiteuren. Die intelligent-witzige Dankrede von Roland Riebeling, der von 2002 bis 2007 als Schauspieler fest in Bonn engagiert war, geriet zu einem Höhepunkt der gesamten Veranstaltung.

Die Schauspielerin Birte Schrein, selbst Thespis-Preisträgerin 2009, würdigte in ihrer wunderbar anschaulichen Laudatio zwei Frauen, die seit vielen Jahren buchstäblich hautnah dafür sorgen, dass Schauspielerinnen und Schauspieler sich in Bühnenfiguren verwandeln. Chefmaskenbildnerin Heike Beuke-Studenik als Königin der Perücken und der Schminke, inkl. Theaterblut. Was wiederum für Adelheid Pohlmann, Leiterin der Kostümabteilung und Königin der Stoffe, Knöpfe und der Schneiderkunst, zu einem echten Problem werden kann. Theaterkostüme müssen oft viel aushalten und auch noch in verschiedenen Beleuchtungen funktionieren. Und wenn die Schauspieler längst nach Hause gegangen sind, laufen oft noch die Waschmaschinen. Und manchmal wird noch an einem verschwitzen Bart oder einer Makeup-Farbe gebastelt, damit für die nächste Aufführung wieder alles perfekt hergerichtet ist.

Theater ist nicht nur ein gemeinsames Erlebnis des Publikums, sondern eine gemeinsame Arbeit aller Gewerke.

Darauf verwies noch einmal Elisabeth Einecke-Klövekorn in ihrer Laudatio für die beiden Hauptpreisträger Timo Kählert und Daniel Stock. Beide gehören seit der Spielzeit 2018/19 fest zum Bonner Ensemble. Für Kählert war es das erste Engagement direkt nach seiner Ausbildung in Zürich. Stock war ein längst an diversen großen Häusern erfahrener Schauspieler, als er sich für Bonn entschied. Beide stellten sich hier vor in Voltaires CANDIDE und in der musikalischen Revue LINIe 16 (beides inszeniert von Simon Solberg). Dass Kählert als Protagonist (der deutsche Gastarbeiter Klaus in ISTANBUL und der Underdog Pinneberg in KLEINER MANN) der beiden zuvor schon prämierten Produktionen aus der Spielzeit 2021/22 die Sympathien des Publikums im Sturm eroberte, liegt eben auch an der gelungenen Ensemble-Leistung. Daniel Stock ist ein vollkommen anderer Typ. Ein solitäres energetisches Ereignis, das mit seiner körperlichen und darstellerischen Präsenz jede Aufführung auf Hochtouren treibt. Ob in der Titelrolle von Molieres DER MENSCHENFEIN, als Pozzo in Becketts WARTEN AUF GODOT, als wütender Idealist Karl in Schillers DIE RÄUBER oder als sensibler Country-Sänger in THE BROKEN CIRCLE – jede Figur wird bei ihm zu einem ungeheuren Kraftakt, dem man sich nicht entziehen kann. Timo Kählerts und Daniel Stocks gemeinsame Danksagung für den gläsernen Thespis geriet zu einem sprachlich brillanten Feuerwerk und gleichzeitig zu einer sehr emotionalen Liebeserklärung ans Schauspiel und an die Menschen, die sie in ihrem Beruf unterstützt haben. Im Anschluss wurde im Foyer des Schauspielhauses noch lange gefeiert und diskutiert.

Es gibt nur noch ein kleines Problem: Sollte SHAKESPEARES SÄMTLICHE WERKE – LEICHT GEKÜRZE, mit dem die Saison 2020/21 eröffnet wurde, wiederaufgenommen werden, müssten der Regisseur Roland Riebeling und der Schauspieler Timo Kählert eine kleine Textstelle ändern: Da hieß es nämlich: "Mit sowas gewinnt man doch keinen „Thespis“." Ist dann aber doch passiert.  

 

THESPIS Preisverleihung 2022

Timo Kählert & Daniel Stock 

 

THESPIS Preisverleihung 2022

Daniel Stock & Timo Kählert

 

THESPIS Preisverleihung 2022

hintere Reihe: Jan Neumann, Roland Riebeling & Jens Groß | mittlere Reihe: Adelheid Pohlmann & Heike Beuke-Studenik | vordere Reihe: Konrad Lang, Daniel Stock, Timo Kählert & Dr. Birgit Schneider-Bönninger