Magazin

Ein Drama als Country-Konzert

The Broken Circle von Johan Heldenbergh auf der Werkstattbühne

Elise hat ein Tattoo-Studio, Didier spielt Banjo in einer Bluegrass-Band. Er ist überzeugter Atheist, hadert mit dem Konstrukt des Glaubens, liebt Amerika – nur wenn möglich ohne Amerikaner – und betäubt tief vergrabenen Schmerz mit Alkohol, wie schon sein Vater. Sie ist ein Freigeist, leidenschaftlich, unkonventionell, offen für das Leben, obwohl es sie schon oft mit Dreck beworfen hat. Beide sind, bis auf ihre gemeinsame Herkunft aus der Unterschicht, sehr verschieden. Doch sie verlieben sich, singen gemeinsam in seiner Band, ziehen zusammen und bekommen sogar ein Kind – ihre Tochter Maybelle. Das Glück scheint perfekt im kleinen, selbst aufgebauten Zuhause. Doch dann greift das Schicksal mit aller Wucht in ihr Leben ein und ihre heile Welt gerät aus den Fugen. THE BROKEN CIRCLE erzählt von der Magie der Liebe und dem verheerenden Schmerz, der auf ihren Verlust folgt. Von Trauer und den verschiedenen Herangehensweisen, damit umzugehen. Es wird danach gefragt, warum sich Menschen ausgerechnet in dem Moment entfremden, in dem sie einander ammeisten brauchen, und ob es überhaupt möglich ist, nach dem Verlust eines geliebten Menschen weiterzuleben. Die Geschichte erzählt aber auch von Glück, von überschäumender Lebenslust und Hoffnung, die trotz allem nie ganz verloren geht. Das alles umflirrende und verbindende Element ist die Musik, sind die live gesungenen Country Songs von Johnny Cash, A.P. Carter oder Townes Van Zandt. Sie begleitet Elise und Didier auf der Achterbahnfahrt durchs Leben, durch einen Alltag, der von der Liebe zur Musik und der Leidenschaft füreinander lebt. Die einfache, emotionale und zutiefst menschliche Erzählweise macht diese Geschichte so besonders. Sie erzählt vom Glück und Unglück im kleinen familiären Kosmos und stellt dennoch große philosophische Fragen an alle: »Was hätte ich tun sollen? Dinge passieren. Naja, dass Maybelle gestorben ist. Das war doch nicht meine Entscheidung. Hm? Das war doch nicht meine Entscheidung. Was hätte ich tun sollen? Hätte ich kein Kind kriegen sollen? Hätte ich nicht lieben sollen? Wenn das die einzige Möglichkeit ist, soll man dann leben oder fühlen mit angezogener Handbremse?«

Der belgische Theaterregisseur und Schauspieler Johan Heldenbergh schrieb diese Geschichte zusammen mit der Schauspielerin und Autorin Mieke Dobbels 2008 und spielte sie in Gent mehr als 150 Mal auf der Bühne. In einer der Aufführungen saß der Filmregisseur Felix Van Groeningen und war so überwältigt, dass er aus dem Stück einen Film machte. 2013 gewann The Broken Circle Breakdown den Europäischen Filmpreis. Ein Jahr später wurde er als bester fremdsprachiger Film für den Oscar nominiert.
 

Nadja Groß