Händels AGRIPPINA als nächste Premiere der Oper – zweiter Anlauf

Und jetzt endlich dreidimensional...

Operndirektor Andreas K.W. Meyer schreibt über die Produktion von Händels AGRIPPINA am Bonner Opernhaus

Szenenfoto aus AGRIPPINA

Als während der Hochzeit der Coronaepidemie die Verunsicherung unter den Kulturschaffenden, darunter auch unter den Musiktheaterleuten, groß war, wie denn nun mit schachbrettgemusterten oder gar ganz unbesetzten Sitzreihen umzugehen sei, hat es vielerorts die Bemühungen gegeben, mit Hilfe von Kameras und Internet auf der Grundlage kleiner Formate eine Idee von Spielbetrieb aufrechtzuerhalten.
Das hat mal mehr, mal weniger gut funktioniert. Die Bonner Oper verfuhr da teilweise anders: Wir haben vorproduziert für die Stunde, da wir wieder vor ein leibhaftiges Publikum treten konnten: die bereits seit der Wieder-Öffnung herausgekommenen Produktionen LEONORE 40/45 oder HÄNSEL UND GRETEL künden davon.

Szenenfoto aus AGRIPPINA

Vom Stream auf die Opernbühne

Aber wir haben auch unserem Publikum ein kleines Dankeschön-Geschenk für das lange Ausharren gemacht mit einem Gratisstream der von Leo Muscato bis zur Generalprobe gebrachten Inszenierung von Georg Friedrich Händels AGRIPPINA. Gleichviel wussten wir, dass es nicht bei der optisch flachen – halt zweidimensionalen – Internetvariante bleiben würde.
Und in der Tat ist nicht nur diese Produktion, sondern auch die Einzigartigkeit des Werkes selbst mehr als nur guter Grund, für Ende Januar 2023 die Premiere neu anzusetzen: 49 Fälle von Zweitverwertungen bereits vorhandenen beziehungsweis uraufgeführten Materials aus anderen Stücken weist AGRIPPINA auf, lediglich fünf Nummern wurden eigens neu komponiert. Dennoch attestierten schon die Zeitgenossen dem Werk eine bis dato bei Georg Friedrich Händel nicht erlebte Geschlossenheit.
Die 27 Aufführungen in der Karnevalssesaison 1709/1710 am Teatro San Giovanni Grisostomo, dem heutigen Teatro Malibran, in Venedig gerieten zu frenetisch gefeierten Ereignissen. Viva il caro Sassone (Hoch lebe der teure Sachse) war das immer wieder zu hörende Jubelwort der Stunde. Damit war AGRIPPINA der erste uneingeschränkte und nachhaltige Erfolg des erst vierundzwanzigjährigen Komponisten. Und es war eine der ganz wenigen Opern, die Händel auf ein Originallibretto komponierte – das ihm der nicht nur leibhaftige Kardinal, sondern sogar Vizekönig von Neapel, Vincenzo Grimani, verfasst hatte (dessen Familie überdies das Teatro San Giovanni Grisostomo gehörte).

Die amüsant erzählte Intrigengeschichte um die Cäsarengattin Agrippina, die bei Erhalt der Nachricht vom – vermeintlichen – Tode ihres (dritten) Ehemannes Claudio es besonders eilig hat, ihren brandgefährlichen Sohn – aus erster Ehe – Nero als Kaiser zu installieren, findet in der Regie von Leo Muscato immer wieder Querverweise zur fake-news-getränkten Gegenwart – mit augenzwinkernden Blicken auf reale Zeitgenossen, die hoffentlich endgültig der Vergangenheit angehören. Das Hochfest der Eitelkeiten und Selbstgefälligkeiten ist umgesetzt als eine Satire mit verblüffenden aktuellen Bezügen.

Hochfest der Eitelkeiten & Selbstgefälligkeiten

Szenenfoto aus AGRIPPINA

Dreidimensional – auch ohne 3D-Brillen!

Dass diese Produktion live und vor Publikum gezeigt werden kann, war nach der freudig aufgenommenen gestreamten Fassung ein wirkliches Desiderat: Echte Menschen. Aus Fleisch und Blut. In Leo Muscatos brillanter Inszenierung mit belebtem Spiel. Auf der Bühne des Opernhauses. Dreidimensional – auch ohne 3D-Brillen!