Die ganze Welt in der Werkstatt

Löwenherzenehrenwort!

Dramaturgin Susanne Röskens schreibt über die Inszenierung von LÖWENHERZEN in der Werkstatt

Szenenfoto LÖWENHERZEN

Eine Drehbühne. Sieben Orte. 17 Rollen. Zwei Spielerinnen. Zwei Spieler.
Und die Geschichte von Anand in Bangladesch. Er ist acht und arbeitet in einer Fabrik, in der er tagein und tagaus Stofftiere fertigt, die in alle Welt verschickt werden. Viel lieber möchte er jedoch Zauberer werden, der beste Zauberer der Welt. Für die Verwirklichung seines Traumes braucht er einen Plan. Also schreibt er eine Nachricht an »Gott in Europa« und versteckt diese im Bauch eines Stofflöwen. In der Eile näht er zwar ein Auge schief an, aber es ist der schönste und wichtigste Löwe, den er je gefertigt hat. Er soll seiner Familie die Möglichkeit verschaffen, ihn zur Schule zu schicken, damit er irgendwann Magier werden kann.

Der Löwe mit dem schiefen Auge geht auf die Reise und begegnet dabei verschiedensten Menschen in den unterschiedlichsten Lebensumständen.
Alle haben, ähnlich wie Anand, einen Traum, eine Vision und entwickeln in ihrer Situation Kreativität, Mut und Stärke. Egal, wo auf der Welt sie leben. Während die Regisseurin Hanna Müller Nino Haratischwilis Theatertext LÖWENHERZEN liebevoll und tiefsinnig inszeniert, lässt Bühnen- und Kostümbildnerin Nina Gundlach auf der Werkstatt-Bühne die Stationen der Löwenreise entstehen – und somit eine ganze Welt. Eine Welt, in der wir eigentlich alle einen Löwen mit einem schiefen Auge bräuchten…

Szenenfoto LÖWENHERZEN

»Beim ersten Lesen des Stückes hatten Hanna Müller und ich ähnliche Assoziationen im Kopf – zum Beispiel ein Kaleidoskop oder einen Optiviewer. Jede Szene spielt in einem anderen Land. Dennoch sind die Szenen ganz klein, kurze Momentaufnahmen irgendwo, wie rangezoomt und dann wieder fort. Natürlich ist es für die Geschichte und das Verständnis wichtig, wo die Szene spielt, aber im Grunde braucht es nicht viel Hintergrund,« sagt Nina Gundlach.
Mit einer Drehscheibe schafft sie ein zentrales Element, das mit dem Tempo der Reise, sei es langsam oder schnell, Schritt halten kann. Zudem sei Vorstellungskraft gefragt, sagt sie: »Auf der Scheibe ist der Himmel dargestellt. Mit ein bisschen Fantasie ist es aber auch die Erde. Oder der Strand und das Meer.« Sie schafft auf diese Weise immer wieder neue Ansichten und Räume, die dann im Zusammenhang mit Licht und Musik konkretere oder abstraktere Orte bilden: »Installierte Wände auf der Drehscheibe können Hinweise geben, wo wir uns befinden, allerdings gibt es auch die Möglichkeit, die auf den ersten Blick logischen Hintergründe anders zu belegen. Eine Lehmwand kann genauso gut hierzulande, wie auch in Afrika zu sehen sein. Eine Betonwand mit Patina gibt es in einem schicken Loft genauso gut, wie man sie zum Beispiel in einer Fabrik in Bangladesch findet.«

In diese Motive fließt das szenische Spiel der Schauspielerinnen und Schauspieler, die in 17 verschiedene Rollen schlüpfen und die die vielen Begegnungen und Dialoge rund um die Welt in einer Komposition von Perspektiven, Licht, Schatten und Farben – teils aus eigener Erfahrung, teils durch sensible Auseinandersetzung mit den Themen – in jeder Szene neu annehmen und gestalten. Hierbei entsteht ein Kostümbild, welches sich weiterentwickelt. Es ist wie auf einer Reise, auf der man verschiedenste Erlebnisse und Mitbringsel sammelt und mitnimmt…

Szenenfoto LÖWENHERZEN

Wohin die Reise führt? Ob »Gott in Europa« zurückschreibt? Ob Anand Magier wird? In jedem Fall entstehen Erinnerungen, die das Leben prägen und bereichern – Löwenherzenehrenwort!