Über das schwierige Kind Hans Fallada

Am 21. Juli 1893 wurde Rudolf Ditzen, der sich als Schriftsteller Hans Fallada nennen wird, in der alten Hansestadt Greifswald in gutbürgerlichen Verhältnissen geboren. Er galt als schwieriges Kind und litt früh unter dem Verhältnis zum Vater, der für seinen Sohn eine Juristenlaufbahn vorgesehen hatte und ihm aus seiner Sicht die nötige Anerkennung verweigerte. So wurde Fallada als Abiturient in Pension nach Thüringen gegeben und beschloss, mit einem gleichaltrigen Schulfreund einen als Duell getarnten Doppelsuizid zu vollziehen. Fallada erschoss den Freund und überlebte selbst schwer verletzt. Er wurde wegen Totschlags angeklagt, in eine psychiatrische Klinik eingewiesen und musste die Schule ohne Abschluss verlassen. In den folgenden Jahren arbeitete er u.a. als Wirtschaftsinspektor auf Rittergütern, Buchhalter, Adressenschreiber, Annoncensammler und Verlagslektor. Bereits in den Jahren 1917 bis 1919 wurde er aufgrund seiner Alkohol- und Rauschgiftabhängigkeit in Heilanstalten für Suchtgefährdete eingewiesen, in denen er vergeblich Entziehungskuren unternahm. Von 1923 bis 1929 wurde Fallada mehrfach wegen Unterschlagung und Betrugs zu Haftstrafen verurteilt und fasste den Entschluss, seinen Gefängnisaufenthalt zum Alkohol- und Drogenentzug zu nutzen. Als er im Mai 1928 entlassen wurde, war er das, was man heute als »clean« bezeichnet. Kurz danach lernte er seine spätere Ehefrau kennen, die schon bald zum Vorbild für die Figur des Lämmchen in KLEINER MANN – WAS NUN? werden sollte. Fallada wendete sich in dieser Zeit vermehrt sozialkritischen Themen zu und bemühte sich in seinen Werken um die Darstellung der Realität, beinahe im Stil dokumentarischer Literatur. Bis 1931 arbeitete er an dem Roman BAUERN BONZEN BOMBEN, der bereits nach dem Vorabdruck in der literarischen Szene positiv wahrgenommen wurde. Das Lob namhafter Kollegen wie Kurt Tucholsky oder Hermann Hesse stärkte Falladas Selbstbewusstsein als Schriftsteller. 1932 erschien mit KLEINER MANN – WAS NUN? sein nächstes Werk, welches das Leben eines Angestellten schildert, unter der Weltwirtschaftskrise leidet: Statt des sozialen Aufstiegs erlebt der Buchhalter Pinneberg mit Frau und Kind den Abstieg in Arbeitslosigkeit und Armut. Das Buch machte Fallada schlagartig bekannt; es verhalf ihm nicht nur zu finanzieller Unabhängigkeit, sondern zu wirklichem Weltruhm. Warum aber währt dieser Erfolg über all die Jahrzehnte bis heute so beständig? Auf die Frage, wie denn seine Antwort auf die im Titel des Romans formulierte Frage lauten würde, bekannte Fallada, und vielleicht liegt darin das Geheimnis: »Wenn der Titel meines Buches eine Frage ist, so darum, weil der Verfasser auch keine Antwort auf jene Fragen weiß, die sie ihm stellen. Er ist nämlich auch ein armes Luder – und der Fall wird bei ihm dadurch noch erschwert, dass er nicht an ,Patentlösungen‘, siehe Notverordnung, Programme politischer Parteien, Ideen großer Wirtschaftsführer glaubt. Kleiner Mann – was nun? ist ihm eine Frage und bleibt ihm eine Frage.«
Carmen Wolfram