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Kalt wie eine Gazpacho

Was die berühmte kalte Suppe, Star Trek und Verdis ERNANI gemeinsam haben

»Rache ist ein Gericht, das am besten kalt serviert wird«, lautet schon ein altes Sprichwort, sollte man General Chang und dem von ihm so gepriesenen Shakespeare im klingonischen Original Glauben schenken wollen. Doch wozu diese Einleitung und dieser Vergleich? ERNANI, komponiert von Giuseppe Verdi – Libretto von Francesco Maria Piave – und am 9. März 1844 im Teatro la Fenice in Venedig uraufgeführt, wird im Original als dramma lirico bezeichnet, als ein lyrisches Drama. Damit ist die Gattungsbezeichnung vermeintlich geklärt, aber die Bezeichnung dramma vendetta hätte auch seine Berechtigung: Rachedrama. ERNANI ist die fünfte vom jungen Giuseppe Verdi – zum Zeitpunkt der Premiere war er 30 Jahre alt – komponierte Oper, und diejenige, mit welcher er endgültig den Durchbruch schaffen sollte. Stilistisch und musikalisch deuten sich bei ERNANI bereits RIGOLETTO, LA TRAVIATA und IL TROVATORE, drei der ganz großen Meisterwerke von Verdi, an. Die vier Protagonisten – Sopran, Tenor, Bariton, Bass – sind bereits ganz typische Verdi-Figuren: Ihre musikalische Sprache ist die der mehrteiligen Arien mit ihren Ariosi und Cabaletten. In Duetten und Ensembles werden sie zusammengeführt. Doch auch der mitreißende, über weite Strecken einstimmig geführte Chor, seit NABUCCO eine Art Markenzeichen für Verdi, fehlt nicht. Aber worum geht es überhaupt? Ernani, Anführer einer Gruppe von Räubern, ist nach dem nicht von ihm begangenen Mord an seinem Vater, dem Herzog von Aragón, verstoßen worden und genießt nun in den Bergen das Leben in räuberischer Freiheit. Seine große Liebe, Elvira, soll mit ihrem Onkel und Vormund Don Ruy Gómez de Silva, verheiratet werden. Zusammen mit seinen Kameraden muss er Elvira befreien, und weil die Hochzeit, natürlich, direkt am nächsten Tag vollzogen werden soll, ist Eile geboten. In der Nacht wartet Elvira auf Ernani und ihre Befreiung. Stattdessen taucht aber Don Carlos, der König von Spanien, auf und gesteht Elvira seine Liebe. Ernani, der kurze Zeit später ebenfalls in Elviras Zimmer eindringt, entdeckt Don Carlos und erkennt in ihm den Mörder seines Vaters. Sofort fordert er den Mörder, Nebenbuhler und König, zum Duell. Weil die nun anwesenden drei Protagonisten – Sopran, Tenor und Bariton – ohne einen Bass nicht vollständig für die für Verdi typischen Figuren sind, kommt auch noch Don Silva in das Zimmer. Um diese Situation einigermaßen aufzulösen, sagt Don Carlos, Ernani sei sein Gefolgsmann und die beiden wären in das Haus Don Silvas eingedrungen, um über den Tod des Kaisers Maximilian I. und seine Nachfolge zu sprechen. Im weiteren Verlauf der Oper soll Elvira nun Silva heiraten, weil sie Ernani für tot hält. Dieser schmuggelt sich durch einen Vorwand in das die Gastfreundschaft sehr hochhaltende Haus von Don Silva. Weil Elvira zu diesem Zeitpunkt bereits das Hochzeitskleid trägt, bricht für Ernani eine Welt zusammen. Er bittet Silva, ihn an den vor dem Anwesen wartenden und Ernani suchenden Don Carlos auszuliefern. Dieser Bitte kommt Silva aber trotz seines Hasses Ernani gegenüber nicht nach. Don Carlos, der Don Silva Folter androht, sollte er Ernani nicht herausgeben, nimmt stattdessen Elvira als Geisel. Silva und Ernani, beide sind nun allein, stehen kurz vor einem von Silva geforderten Duell, was Ernani aber abwenden kann. Er zieht Silva auf seine Seite, und beide beschließen, den König zu töten. Diesen Schwur muss sich Ernani allerdings teuer erkaufen; als Pfand hinterlässt Ernani Silva ein Horn und schwört, er werde sich sofort töten, sollte Silva das Horn erklingen lassen.
Wohin das wohl führt?
Die gerade für das Theater Bonn zu erwähnende geografische Nähe zum nächsten Teil der Oper könnte ja vielleicht bei dem einen oder der anderen in den nächsten Wochen zu einem Ausflug dorthin führen: zur Krypta von Karl dem Großen im Dom zu Aachen. Hier, wo traditionellerweise die Kaiser des Heiligen Römischen Reiches gekrönt wurden – die meisten faktisch jedoch in Frankfurt am Main – soll das Attentat auf Don Carlos stattfinden. Silva und Ernani losen untereinander aus, wem die Ehre zukommt, Don Carlos zu töten. Ernani trifft das Los, wird aber von Silva gebeten, ihm diese Aufgabe zu überlassen. Es donnern drei Kanonenschüsse in Aachen, ein Zeichen, dass aus Don Carlos soeben Karl V. geworden ist. Als neuer Kaiser des Heiligen Römischen Reiches will er die beiden Attentäter schwer bestrafen, erinnert sich aber auf dringendste Fürbitte Elviras an die Großzügigkeit und Gnade seines großen Vorgängers Karl. Daraufhin begnadigt Karl V. Don Silva und Ernani und gibt Letzterem sogar Elvira zur Frau. Diese beiden feiern Hochzeit. Ein absolutes Happy End, sollte man meinen, aber da war ja noch die Sache mit dem Horn...
Rache ist das einzige Gericht des Hochzeitsmenüs von Elvira und Ernani.
Es ist ein sehr kaltes.


Maximilian Hülshoff

 

[Anmerkungen der Redaktion:

In der Printversion des Artikels ist dem Verfasser ein Fehler unterlaufen, indem er behauptete, die Figur des Don Carlos aus der Oper ERNANI sei identisch mit der titelgebenden Figur der Oper DON CARLO. Die betreffende Passage wurde in der Onlineversion gestrichen. Wir bitten diesen Fehler zu entschuldigen.

Das Copyright des Foto des Bühnenbildes in der Printversion liegt bei Julius Adorf.]