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Denken Sie, es gibt einen Haken?

Lutz Hübner, Sarah Nemitz und Roland Riebeling über die neue Komödie im Schauspielhaus

Lutz Hübner und Sarah Nemitz gelten als das erfolgreichste Autoren-Duo auf deutschsprachigen Bühnen. Seit 1994 schreiben sie Stücke, die den Nerv der Zeit treffen, zunächst für Jugendliche, später dann auch für Erwachsene. Einer ihrer größten Erfolge war bislang FRAU MÜLLER MUSS WEG – ein Stück über Lehrer, Schüler und Eltern, das sogar von Regisseur Sönke Wortmann verfilmt wurde und 2019 eine der meistbesuchten Inszenierungen am Bonner Schauspielhaus war.
Für das Theater Bonn schrieben die beiden Autoren nun eine ganz neue Komödie:
DER HAKEN

Szenenfoto aus DER HAKEN

Worum geht es?

Um eine Großstadt irgendwo in Deutschland. Nennen wir sie beispielsweise Bonn. Eine Gruppe bunt zusammengewürfelter Menschen verschiedenster beruflicher, familiärer und sozialer Hintergründe begegnet sich an einem sonnigen Sonntagmorgen zum nervenaufreibendsten Prozedere, das sich ein Städter nur vorstellen kann: der Wohnungsbesichtigung.
Diese Rangelei um eine Altbauwohnung in Toplage erfordert einen ausgeklügelten Strategieplan. Oder Glück. Meistens jedoch ein ausreichend gedecktes Bankkonto und gute Kontakte. Was aber, wenn der Makler ein verschlossener Sonderling ist, der sich irrational verhält, abwegige Fragen stellt und die Wohnung für Größe und Lage viel zu günstig anbietet? Dann muss die Sache einen Haken haben!
Die Interessenten bemerken, dass nach Vertragsabschluss noch ein ganz anderer Aufgabenbereich auf sie zukommen könnte. Die Auflösung des Rätsels wartet einen Stock über der angebotenen Wohnung in Form des älteren Eigentümers und Onkel des Maklers, Herrn Benedict Goldmann. In früheren Jahren Attaché in Brüssel, nun, nach dem Tod seiner Frau, alleinlebend in seiner Bonner Dachwohnung. Was hat es mit dem höflichen, elegant gekleideten Senioren auf sich? Welches rasant zunehmende gesellschaftliche Problem verbirgt sich hinter diesem Besichtigungstermin und wird sich einer der Bewerber auf die (Heraus-)Forderung einlassen?

Szenenfoto aus DER HAKEN

»Komik gibt die Freiheit, Tragik aushalten oder sich überhaupt auf sie einlassen zu können.«

Auf die Frage, was die Autoren dazu bewegt hat, genau diese Geschichte zu entwerfen, beschreiben Lutz Hübner und Sarah Nemitz ihren Arbeitsprozess wie folgt: »Es beginnt meist mit einer Suchbewegung, um ein Setting zu schaffen, in das man Themen, Überlegungen und Geschichten packen kann. Und das war im HAKEN der Wunsch einen Ort zu finden, in dem – quasi exterritorial – verschiedene Gesellschaftsschichten aufeinandertreffen, die durch ein gemeinsames Ziel verbunden sind. Das hatte mit Corona zu tun und der Frage, wie sich die gesellschaftliche »Temperatur« verändert hat, wie es um die soziale Resilienz steht und wie kurz die Lunte ist, wenn es um Stress geht. Da waren wir dann schnell bei einem Thema, das extrem aufgeladen ist: Wohnungssuche, in der es um Konkurrenz, den Background und Strategien geht – vor allem, wenn das Angebot sehr verlockend ist. Bald war uns klar, dass die Wohnungsfrage (und die Momentaufnahme einer nervösen Gesellschaft) uns nicht ausreicht, und haben das Thema des »Füreinanderdaseins« mit aufgenommen.
Denn Corona hat gezeigt, dass gesellschaftliche Verantwortung – oder das strategische Potenzial im Ausnahmefall – trainiert werden muss. Eine Gesellschaft, in der man nicht aufeinander angewiesen ist, verlernt Solidarität, sie beginnt zu »fremdeln« und gerät in eine Art sozialer Wohlstandsverwahrlosung oder Wohlstandsvereinzelung.
Corona hat gezeigt, dass Gemeinschaften beziehungsweise Klassen mit hoher sozialer Interdependenz besser funktionieren: Wer auf Hilfe angewiesen ist, kann Hilfe besser leisten, wenn es darauf ankommt – und um da einige Varianten durchzuspielen, war die Figur des Senioren Benedict Goldmann wichtig – ganz abgesehen davon, dass wir eine solche Figur – an dieser biografischen Schnittstelle – gern schreiben wollten.
Uns hat beim HAKEN interessiert, wie Menschen um ihre Würde und Anerkennung kämpfen und in schwierigen Situationen versuchen, ihre Weltsicht zu behaupten. Und das in Form der Komödie. Denn Komik gibt dem Publikum die Freiheit, die Tragik aushalten oder sich überhaupt auf sie einlassen zu können.« 

Szenenfoto aus DER HAKEN

Regisseur Roland Riebeling, der in den vergangenen Spielzeiten bereits so erfolgreiche Produktionen wie SHAKESPEARES SÄMTLICHE WERKE (LEICHT GEKÜRZT) und ISTANBUL auf die Bühne brachte, beschreibt den HAKEN als »ein Stück, das im ersten Eindruck erstmal wie ein gehobenes Boulevardstück daherkommt, doch dann brechen die Abgründe der handelnden Personen durch und es beginnt richtig Spaß zu machen und weh zu tun. Bittersüß ist ein Wort, das mir während der Proben oft in den Sinn kommt. Es ist ein Stück, das die Frage stellt, wie wir unser Leben verbringen wollen, auch im Hinblick darauf, dass es eines Tages endet.
Im HAKEN treffen sehr unterschiedliche Lebensentwürfe, manchmal sehr erfolgreiche, manchmal komplett gescheiterte, optimistische und überforderte Menschen aufeinander, die auf der Suche nach dem perfekten Heim, einem zufrieden Leben sind. Dem gegenüber steht ein Mensch am Ende seines Lebens, der sich die Frage stellen muss, wer duscht mich ab, wenn ich mal nicht mehr kann. Neben der großen Situationskomik, die dieser Abend hat, schafft es das Autorenpaar alle Figuren so zu entwerfen, dass ich mich in ihnen wiedererkenne und mich prächtig amüsieren kann und manchmal verschämt nach unten blicke, weil ich genauso nicht sein will. Hier ist es, glaube ich, besonders spannend in all der Komik den bitteren Kern und in der Tragik den skurrilen Witz herauszufinden, der nun mal unserem Leben innewohnt. Und last, not least: Ein Stück in Bonn zu inszenieren, das in dieser Stadt spielt und das Leben in dieser Stadt abbildet: wie herrlich ist das?!«

Gespräch & Text: Nadja Groß

Hier geht's zur Produktion DER HAKEN.