Magazin

Der Höllensturz, der Erdengang, die Himmelfahrt

»Wir sehen in ASRAEL einen Mann zwischen drei Frauen. Eine sehr nachvollziehbare Ausgangssituation für einen vielversprechenden Opernabend.«

Bühnenbild von Charles Edwards zur Inszenierung ASRAEL

 

 

Barbara Dallheimer und Andreas K. W. Meyer im amalgamierten Gespräch über Alberto Franchetti und seinen Opernerstling ASRAEL.

Dass Alberto Franchetti nicht vom Komponieren leben musste, merkt man seiner Arbeitsweise und vor allen Dingen auch seinem überschaubaren »Fleiß« an. In der Zeit, in der seine Freunde Puccini, Mascagni und Leoncavallo Unmengen von Opern herausgeschleudert haben, hat er sich mit vier, fünf zufriedengegeben.
Es liegt eben auch auf der Hand, wenn man sich einmal ein wenig mit seinem Leben befasst, dass Franchetti das war, was man wohl als Lebeman bezeichnen kann. Man will es ja nicht unbedingt verkürzen auf »Wein, Weib und Gesang«, aber es ging schon in die Richtung: Erster italienischer Sieger eines Autorennens, Sammler von Ehen, Affären und Autos, leidenschaftlicher Koch, Gründer des italienischen Richard-Wagner-Vereins etc. etc.

Diese Gründung und der Umstand, dass er bei Rheinberger in München und bei Draeseke in Leipzig studiert hatte, maßgeblich dazu bei, Franchetti in Italien als »deutschen Komponisten« zu bezeichnen, wobei gänzlich außer Acht gelassen wurde, dass seine Kollegen Puccini, Giordano, Mascagni und Leoncavallo, selbst nur in Italien ausgebildet, viel mehr von Wagner in ihren Werken assimiliert hatten. In ganz anderer Hinsicht war Franchetti übrigens wirklich ein »deutscher Komponist«, jedenfalls für einige Jahre: Als er sich nämlich von seiner ersten Ehefrau Margherita Levi scheiden lassen wollte, nahm er vorübergehend in München die Staatsbürgerschaft an, weil eine Scheidung in Italien nicht möglich war.

ASRAEL ist eine durch und durch italienische Oper, aber eine italienische Oper von gewaltigen Ausmaßen, was die Besetzung angeht – über das sehr überschaubare Solistenensemble hinaus. Es war dann wohl auch in einigen Besprechungen etwas vom »italienischen Meyerbeer« zu lesen – zu einem Zeitpunkt als der »echte Meyerbeer« schon zwanzig Jahre tot war. Was ja übrigens auch wieder so eine Art deutscher Querverweis wäre. Dieses Stück als Erstling war wahrscheinlich nur unter besonderen äußeren Bedingungen aufführbar. Und diese Bedingungen waren dadurch gegeben, dass Raimondo Franchetti, einer der reichsten Männer, wenn nicht gar der reichste Mann Italiens, kurzerhand das gerade einmal dreißig Jahre alte Teatro Municipale in Reggio Emilia übernommen und seines Sohnes ASRAEL zur Uraufführung angesetzt hätte. Er konnte ja nicht ahnen, damit einem Stück den Weg bereitet zu haben, das innerhalb kürzester Zeit ein Welterfolg mit Produktionen in Hamburg, München, Dresden, New York und Buenos Aires werden sollte – das überdies den Weg für eine vielversprechende Karriere ebnete. Verdi sah ASRAEL; nachdem er von den Verantwortlichen in Genua gebeten worden war, ihnen eine Oper zur Vierhundertjahrfeier der Entdeckung Amerikas zu komponieren, schlug er ihnen als gleichwertigen Ersatz Alberto Franchetti vor, der daraufhin seinen CRISTOFORO COLOMBO schrieb – den nächsten Welterfolg. Da war ein schwerst angesagter Komponist, mit dem die Opernlandschaft als solche ihre Mühen hatte, weil er in keine der Schubladen passte, in die gewohnheitsgemäß abgelegt wurde. An der Metropolitan Opera in New York etwa wurde ASRAEL durchweg vom »deutschen Ensemble « gesungen – aber selbst in Italien (nach Reggio Emilia) waren hier Sänger am Start, die auch etwa Lohengrin oder Ortrud sangen.

1902 kam an der Scala unter Toscanini und mit Enrico Caruso GERMANIA heraus, seine erfolgreichste Oper. Danach begann Franchettis Stern zu sinken, möglicherweise schon dadurch ausgelöst, dass er sich außerstande sah, Sardous TOSCA zu vertonen und das ihm angebotene Libretto an Puccini weiterreichen ließ. Sein ungeheurer Reichtum machte ihn aber auch völlig unabhängig vom Erfolg als Komponist – und er machte ihn auch insofern sorglos, als er eher großzügig mit seinen Manuskripten umging: sehr viele Werke nach GERMANIA sind schlicht nicht mehr vorhanden oder nurmehr skizzenhaft.

Dass er als Jude dann ab 1933 nicht mehr in Deutschland und ab 1938 nicht mehr in Italien gespielt werden durfte, hat sein Verschwinden aus dem Bewusstsein dann endgültig besiegelt.

ASRAEL erzählt die Geschichte zweier sich liebender Engel, die getrennt werden, als die höllischen Heerscharen Asrael in die Unterwelt entführen, wo er nicht in der Lage ist, seine geliebte Nefta zu vergessen und Luzifer darum bittet, für ein Jahr auf die Erde zurückkehren zu dürfen, um sie zu suchen. Da gerät er zwischen drei Frauen und wird schließlich von der als Nonne auftretenden Nefta erlöst und kehrt mit ihr in den Himmel zurück. Wir dürfen sehr dankbar sein, dass Christopher Alden ein Konzept auf psychologischer Grundlage entwickelt hat; unter strikter Auslassung unfreiwilliger Komik. Wir sehen auch hier einen Mann zwischen drei Frauen, eine hochseriös-intellektuell, eine sinnlich- lebensbejahend, eine kontemplativ.
Eine sehr nachvollziehbare Ausgangssituation für einen vielversprechenden Opernabend. Und eine weitere Bereicherung für unsere Reihe FOKUS |’33|!

Text von Barbara Dallheimer und Andreas K.W. Meyer

 

Zur Opernproduktion ASRAEL

 

Gefördert vom Ministerium für Kultur und Wissenschaften des Landes Nordrhein-Westfalen in Zusammenarbeit mit dem NRW KULTURsekretariat.