»Die große historische Gangsterschau!«
»an das amerikanische theater denkend...«

»...kam mir jene idee wieder in den kopf, die ich einmal in new york hatte, nämlich ein gangsterstück zu schreiben, das gewisse vorgänge, die wir alle kennen, in erinnerung ruft.«, notierte Bertolt Brecht am 10. März 1941 in sein Arbeitsjournal.
Die »Vorgänge, die wir alle kennen«, liegen auf der Hand: Der Weg Adolfs Hitlers und der Nationalsozialisten an die Macht. Brecht wollte jedoch »keinen allgemeinen gründlichen Aufriß der historischen Lage der dreißiger Jahre geben«, sondern »ein Parabelstück, geschrieben mit der Absicht, den üblichen gefahrvollen Respekt vor den großen Tötern zu zerstören.« Er stellt also nicht den Diktator Hitler ins Zentrum seiner Gangster-Farce, sondern bedient sich biografisch bei dem amerikanischen Mafia-Boss Al Capone. Seine Geschichte steht in den USA in einer langen Tradition der erfolgreichen Selfmademen der amerikanischen Wirtschaft: Rockefeller, Ford, Trump sen. etc. – Geschichten von bürgerlichen Aufsteigern, deren Macht sich in der Anhäufung von Kapital begründet.
Brechts Fokus liegt auf den Verquickungen der Interessen des Großkapitals, in diesem Fall die Blumenkohlhändler Chicagos, mit denen von autoritären Führern, die jeweils in Politik, Wirtschaft und Verbrechen zu finden sind. Das Personal im Stück ist daher »absichtlich eng gezogen: es beschränkt sich auf die Ebene von Staat, Industriellen, Junkern und Kleinbürgern.«


Die österreichische Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl liefert eine zu diesem Personal passende Definition von Faschismus, dessen »soziale Basis ein unzufriedenes Kleinbürger- sowie Beamtentum [ist], das sich in einer Zeit der Krise gleichermaßen gegen den herrschenden Machtblock oben wie gegen ein (revolutionäres) Proletariat unten wendet, aus Angst vor gesellschaftlichem Abstieg, vor dem Verlust kulturellen Einflusses und traditioneller Werte.« Es entstehe eine »Koalition, die auch Teile des Proletariats sowie entscheidende Fraktionen aus Großbürgertum und Adel einschließt […], unter dem Versprechen eines völkisch-nationalistischen Umbaus der Gesellschaft mit der entsprechenden Ausgrenzung als nicht zugehörig definierter Gruppen.«
objekt der großbürgerlichen politik
Die Vertreter eben jenes Großkapitals stehen für Brecht im Zentrum seiner Faschismustheorie, da dieser die politische Herrschaft des Kleinbürgertums im Interesse des Großkapitals sei, welches in erster Linie auf Profit aus ist und die Arbeiterbewegung bekämpft. Er schreibt am 27.2.1942 ins Arbeitsjournal: »das kleinbürgertum ist ökonomisch nicht eine selbständige klasse. es bleibt immer objekt der politik, jetzt ist es objekt der großbürgerlichen politik.«

Dieser Prozess lässt sich – unabhängig vom Wort Faschismus – auch heute in einigen der größten Demokratien der Erde finden. Speziell in den USA, deren politische Entwicklung immer auch ein Fingerzeig für Deutschland sein kann, gibt es christlich-nationalistische Tendenzen, die bald in einer erneuten Wahl Donald Trumps enden könnten. Und dieser hat mit der Orchestrierung eines Coups und dem Sturm auf das Capitol schon bewiesen, wie wenig er die Demokratie achtet.
Laut Brecht müssen »die großen politischen Verbrecher der Lächerlichkeit preisgegeben werden, denn sie sind vor allem keine großen politischen Verbrecher, sondern die Verüber großer politischer Verbrechen, was etwas ganz anderes ist.« Und auch Trump, der sich vor Gericht verantworten muss, kann wohl bald mit Fug und Recht als Gangster bezeichnet werden.
Text von Dramaturg Jan Pfannenstiel
Am Theater Bonn wird Laura Linnenbaum »die große Gangsterschau«, wie es der Ansager im Prolog ankündigt, inszenieren. Sie zeichnete u. a. bereits 2018 für Brechts DIE HEILIGE JOHANNA DER SCHLACHTHÖFE verantwortlich.
